Wie sich meine Stand-Up Comedy auf Bewerbungsgespräche auswirkt

Ich durfte mal wieder großartige Auftritte im Quatsch Comedy Club in Hamburg machen. Die Spielstätte in einem Dampfer an der Überseebrücke bot einen spektakulären Aussicht auf die Nordelbe. Vom Backstage aus konnte man direkt aufs Heck steigen und hatte einen tollen Blick auf die Elbphilarmonie. Die 5-Sterne unterbringung rundete ...mehr

das Ganze noch ab.

Generell rede ich garnicht über meine Comedy-Auftritte, die ich so nebenbei immer mal wieder mache – vor allem nicht im Arbeitskontext. Womöglich liegt dass daran, dass ich mich insgeheim davor Scheue, unangenehme Nachfragen beantworten zu müssen, wenn Leute sich mit meinem „extravaganten“ Humor auf der Bühne beschäftigen. In Internet kursiert ein Auftrittsvideo von mir, in dem ich dem Publikum davon erzähle, was ich als Lebensmittelchemiker im Alltag für Fragen von neugierigen Laien gestellt bekomme, so etwa die Frage, warum denn Ohrenschmalz bitter schmeckt (Funfact: ich wurde das in Wahrheit nie gefragt, die Anekdote ist frei erfunden und bei der Nummer, die ich erzähle, beantworte ich die Frage am Ende auch garnicht, sondern lenke dann nur auf zusätzliche Gags ab).

Ich habe mir über dieses Auftrittsvideo und die Bahnen, die es so zieht, nie Gedanken gemacht, denn das Video hat kein besonders großes Aufsehen erregt.

Dann kam mal ein wichtiges Bewerbungsgespräch.

Ich war – wie mann im Fachjargon so sagt – „dolle aufgeregt“. Es ging mir richtig um was. Gerade bei der Besetzung von wissenschaftlichen Positionen wird man im Hinblick auf fachliche Kompetenz vom Interviewer (meistens ein Wissenschaftler) nochmal vollumfänglich einer intellektuellen Leibesvisitation unterzogen (bei einer Anstellungquote von 100% PhDs ist ein Doktortitel am Ende irgendwie viel weniger beeindruckend für potenzielle Arbeitgeber, als ich es mir bei meiner Immatrukulation 2009 vorgestellt habe). Die zusätzlichen hochkreativen Stressfragen, die mir gestellt wurden („Nennen Sie mir Ihre zwei größten Schwächen.“), beantwortete ich mit gut vorbereiteten Stressantworten („Ich kann meinen Track-record an sich immer steigernden Erfolgen nie richtig genießen, weil ich unfassbar selbstkritisch bin und mich immer übertrumpfen will.“ sowie „Ich versuche andauernd mein C2-Level Oxford-Englisch am Leben zu halten und benutze in Meetings deshalb sehr hochgestochene Vokabeln, ohne darauf zu achten, dass weniger verhandlungssichere Gesprächspartner da garnicht mitkommen. You know, I am just such a native-like speaker, that less practices colleagues are plainly discombobulated by my elaborate choice of words.“).

Der Interviewer war aber ein richtiger Fuchs, er hakte nach: „Das sind doch garkeine richtigen Schwächen! Sagen Sie mir eine Schwäche!“

Was will er hören, dachte ich mir. Soll ich ihm sagen, dass ich aus purem Jucks heimlich meine Arbeitskollegen verwirre, indem ich nach Feierabend Tacker und Locher in andere Schublaben verräume oder bei Kollegen, die den Platz verlassen, ohne den Rechner zu sperren, Bilder von Freddy Krüger als Desktophintergrund installiere?

Das Bewerbungsgespräch neigte sich langsam dem Ende zu. Ich glaubte, das Gröbste überstanden zu haben und mit guten Karten dazustehen: der Bereich „DMPK“, in dem ich mich bewerbe, ist in der Arzneimittelforschung sehr klein mit einer eher geringen Zahl an weltweiten Experten (so in etwas 5, Tendenz sinkend, die meisten arbeiten nach der Berentung noch weiter, weil es sonst keine Nachbesetzung gibt).

Nachdem mich der Recruiter aufforderte, meine Fragen zur vakanten Position zu äußern (Ich: „Gibts ne Kantine?“ – Er: „Wir haben eine Mikrowelle.“), kam zum Schluss peinliches Schwiegen auf.

In die Stille hinein fragte der Interviewer mich: Sagen Sie mal, warum schmeckt denn Ohrschmalz jetzt eigentlich bitter?

Ich hab ja mal in einer Open Source-Publikation (eigentlich war es ein Artikel auf n-tv.de) davon gelesen, dass Ohrenschmalz wohl bitter schmeckt, weil das Insekten abwehrt (damit wäre das menschliche Ohr wohl das Gegenteil einer Blume, sieht hässlich aus und in der Mitte wartet nichts Gutes).

Statt die Frage des Recruiter zu beantworten, sagte ich: „Ist es eigentlich rechtlich nicht ein Problem, Bewerber im Vorfeld eines Interview zu stalken?“

Das war ein holpriger Abschluss und ich dachte, die Nummer sei gelaufen.

Aber dann kam die unerwartete glückliche Wendung: Am nächsten Tag rief mich der Interviewer nochmal mit seiner persönlichen Telefonnummer an. Er sagte mir, dass er es wirklich bemerkenswert fand, dass ich meiner künstlerischen Passion nachgehe und gleichzeitig Chemiker bin. Er würde sich von mir wünschen, so sagte er, dass ich noch viel offener dazu stehe und souverän nach außen kehre, wer ich bin. Er erzählte mir, dass er selbst auch immer neben seiner Betätigung als Chemiker zusätzlich seine musikalische Ader als Saxophonist auslebt und damit sehr offen in seinem Kollegenkreis umgeht, was überall Zuspruch findet. Ich war verblüfft, denn so einen netten Anruf bekommt man selten. Dann dachte ich mir: Ja, toll, Saxophon spielen eckt ja auch bei niemandem im Kollegenkreis an, außer du probst Nachts um 3 bei Deinem Abteilungsleiter in der Einfahrt. Aber bei mir mit meinen Gags will ich, dass alles zwischen mir und dem Publikum bleibt.

Trotzdem war ich beflügelgt nach dem Gespräch, denn es war ein tolles Signal von einem potenziellen Arbeitgeber. So verbleibt es sich gut nach einem Bewerbungsgespräch und ich genoss den Tag und grübelte darüber, wie hoch ich die Gehaltsforderung in der nächsten Runde des Bewerbungsverfahrens treiben kann.

Acht Wochen später erhielt ich dann eine automatische Absage per Mail.

Eine Woche danach noch einen automatischen Fragebogen zur Bewertung des Interviews.

Das war bitterer als jeder Ohrenschmalz.

 

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